Memoranda Berlin, 2023
In der DDR nahm die "wissenschaftlich-phantastische" oder "utopische" Literatur, anknüpfend an Traditionslinien von Laßwitz bis Dominik, eine relativ eigenständige Entwicklung. Schon allein das Wort "Science Fiction" war lange Zeit verpönt, denn SF war ja eine US-amerikanische, also antihumanistische und imperialistische Sumpfblüte auf dem Feld der Literatur. Utopie aber war für die frühe DDR-SF Legitimation und uneinlösbarer Anspruch zugleich. Die Bezeichung verwies auf eine lange, durchweg positiv gewertete Traditionslinie utopischen Denkens, die nach der offiziellen Lesart unweigerlich zur kommunistischen Perspektive führen mußte.
Erstaunlicherweise entwarfen die Autoren der frühen DDR-SF in den fünfziger und sechziger Jahren fast durchgängig ein einheitliches Zukunftsbild. Hätte man eine Person aus einem Roman gegriffen und sie kurzerhand in einen anderen Roman versetzt, so hätte sie sich mit geringer Mühe zurechtgefunden, so sehr glichen sich die Zukunftswelten: Der Kommunismus war weltweit auf dem Vormarsch oder hatte bereits gesiegt, Verbrechen und Geld, Hunger und Krankheiten waren abgeschafft, man lebte im Wohlstand und arbeitete fleißig zum Wohle der Gemeinschaft — ganz nach dem Prinzip "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen". Eine ähnlich harmonische Welt gab es im Westen wohl nur an Bord des Raumschiffes Enterprise...
Leicht vereinfacht läßt sich die Geschichte der DDR-SF in vier Entwicklungsetappen unterteilen:
Der dritte Essayband im Rahmen der Werkausgabe umfaßt Studien zur SF der DDR der 1950er und 1960er Jahre. Dominierend war damals ein recht einheitliches Bild von einer „lichten“, positiven Zukunft. Dieses optimistische Zukunftsbild entsprach ganz der Linie der staatlichen Kulturpolitik und war von der herrschenden marxistisch-leninistischen Gesellschaftslehre geprägt. Wenn überhaupt einmal Vorstellungen von der sozialistischen oder kommunistischen Zukunft in der DDR konkret wurden, dann in diesen frühen SF-Werken. Das hinderte die Autoren selbstverständlich nicht daran, bisweilen eigenwillige Ideen von Technik und Gesellschaft der Zukunft einfließen zu lassen.
Die neue Fassung unterscheidet sich in einigen Punkten von der früheren Ausgabe von 1995. Sämtliche Abschnitte wurden gründlich überarbeitet und vor allem substantiell erweitert. Auf Anmerkungen zum Forschungsstand über die DDR-SF wurde ebenso verzichtet wie auf mehrseitige Tabellen. Der ursprünglich enthaltene Artikel über Zensur in der DDR-SF wird in den nächsten (vierten) Essayband aufgenommen.
Eine kurze Geschichte der ostdeutschen Science-Fiction enthält der online-verfügbare Artikel Utopische Literatur made in GDR.
EDFC Passau, 1995
Ein Essay zu Zensur und Selbstzensur in der DDR-SF, einige mehrseitige Tabellen sowie eine umfassende Bibliographie der DDR-SF, zusammengestellt von Hans-Peter Neumann, ergänzen den ursprünglichen Band.
Ebenfalls beim EDFC erschienen ist der von Peter Schattschneider und Karlheinz Steinmüller herausgegebene Band "Science Fiction — Sensor oder Motor einer technisierten Welt" (1994).